Rückgewinnung von Phosphor aus dem Klärschlamm von kleinen und mittleren Kläranlagen

Oder: Technikers Wunsch und juristische Wirklichkeit

Mit der „Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung“ ist seit 2017 festgeschrieben, dass ab 2029 eine Recyclingpflicht für Phosphor aus Klärschlamm in Kraft tritt. Diese Recyclingpflicht betrifft alle kommunalen Kläranlagen gleichermaßen, ebenso industrielle Kläranlagen, in denen kommunales Abwasser mitbehandelt wird, und zwar unabhängig von der genehmigten Ausbaugröße.

Die Ausbaugröße der Kläranlage ist lediglich dafür entscheidend, welche Formen des Phosphorrecyclings zugelassen sind. Dabei gilt für Kläranlagen kleiner oder gleich 50.000 Einwohnerwerte (EW), dass die bodengebundene Verwertung (in der Regel die Ausbringung von kommunalen Klärschlämmen zu Düngezwecken in der Landwirtschaft) dauerhaft zugelassen bleibt, sofern die Klärschlämme den stofflichen Anforderungen nach Abfall-Klärschlammverordnung (AbfKlärV) und Düngemittelverordnung (DüMV) genügen.

Für Kläranlagen der Größenklasse V (> 100.000 EW) ist dagegen bereits ab 2029 die bodengebundene Verwertung – unabhängig von der Qualität des Klärschlamms! – nicht mehr zulässig. Das heißt, dass auch „saubere“ Schlämme größerer Kläranlagen dann nicht mehr landwirtschaftlich oder landbaulich verwertet werden dürfen*. Kläranlagen der neuen Größenklasse IVb (> 50.000 EW Ausbaugröße) haben eine „Schonfrist“ bis 2032, dann gelten die gleichen Vorgaben. 

Rückgewinnung und Recycling von Phosphor

Neben der landwirtschaftlichen/landbaulichen Verwertung von Klärschlämmen als direkteste Form des Phosphorrecyclings kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:

  • Rückgewinnung von Phosphor aus dem Klärschlamm (aus der wässrigen Phase, in der Regel am Entstehungsort auf der Kläranlage). Hier erwartet der Gesetzgeber eine Rückgewinnungsquote von 50 %, mindestens jedoch eine Abreicherung des Phosphorgehalts im Klärschlamm unter eine Grenze von 20 g P/kg TR.
  • Rückgewinnung von Phosphor aus den Verbrennungsaschen von Klärschlamm. Hier wird gesetzlich eine Rückgewinnungsquote von 80 % vorgeschrieben.

Die Rückgewinnung des Phosphors und die Einhaltung der vorgeschriebenen Rückgewinnungsquote aus Verbrennungsaschen obliegt dem Anlagenbetreiber. Die Verantwortung der entsorgungspflichtigen Körperschaft endet mit der Abgabe des Klärschlamms an die zugelassene Entsorgungsanlage (dies wird dann in der Regel eine Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage sein). Die Rückgewinnung des Phosphors (oder alternativ die rückholbare Lagerung der Aschen für eine spätere Durchführung des Recyclings) ist quasi durch den Betreiber der Entsorgungsanlage einzupreisen (was absehbar spätestens ab 2029 zu weiteren Preissteigerungen bei der Klärschlammentsorgung führen wird).

Der Mangel an Mono-Verbrenungsanlagen und die zu erwartende Preissteigerung für die Monoverbrennung von Klärschlamm mit Rückgewinnung von Phosphor ist der Grund dafür, warum Kläranlagen nach alternativen Möglichkeiten Ausschau halten, die Recyclingpflicht ab 2029 erfüllen zu können. In vielen Regionen ist eine landwirtschaftliche Verwertung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich. GGf. ist eine Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage nur in großer Entfernung erreichbar, was zusätzlich hohe Transportkosten bedeutet. Eine alternative thermische Behandlungsmöglichkeit (z.B. Zementwerk, Müllverbrennungsanlage) ist aber vielleicht regional verfügbar und für den Betreiber der Entsorgungsweg der Wahl, wenn z.B. Grenzwertüberschreitungen oder die Ausbaugröße der Kläranlage dauerhaft eine bodengebundene Verwertung unmöglich machen.

Um diese „anderweitige Entsorgung“ durchführen zu können, muss allerdings (ab 2029) die Recyclingpflicht erfüllt werden – in diesem Fall wäre eine vorherige Rückgewinnung von 50 % aus dem Klärschlamm oder ein Unterschreiten der Grenze von 20 g P/kg TR vor der anderweitigen thermischen Behandlung (Mitverbrennung) erforderlich. Dies hat ganz einfach den Hintergrund, dass bei einer Mitverbrennung eine Mischung der Klärschlämme mit anderen Stoffen erfolgt, dass die P-haltigen Klärschlammaschen so stark verdünnt sind, dass eine Rückgewinnung aus Aschen technisch und wirtschaftlich nicht sinnvoll ist.

Aus diesem Grund werden seit einigen Jahren Verfahren entwickelt, die die Rückgewinnung von Phosphor bereits auf der Kläranlage ermöglichen sollen. Großtechnisch wird dies z.B. bei den Berliner Wasserbetrieben bereits seit 2008 praktiziert – damals noch vor dem Hintergrund, betriebliche Probleme durch MAP**-Inkrustrationen in Faulung und Rohrleitungen zu vermeiden. Das MAP wird als hochwertiger Dünger („Berliner Pflanze“) aus dem Abwasserreinigungsprozess ausgeschleust.

Großtechnisch bekannte Verfahren sind z.B. das AirPrex®-Verfahren, das „Stuttgarter Verfahren“ oder das „Budenheim-Verfahren“ (ExtraPhos®). Auf der Deutschen Phosphor-Plattform (DPP) sind zahlreiche Anlagenentwickler- und –bauer vertreten. Welches Verfahren sich für welche Kläranlage eignet, ist immer einer Einzelfallentscheidung und wird  durch zahlreiche Parameter beeinflusst. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch wirtschaftlich oder umweltpolitisch sinnvoll. Am Markt ist eine gewisse „Goldgräberstimmung“ zu verspüren, ein Wettstreit um die Implementierung aufwendiger und kostenintensiver Verfahrenstechniken auf kommunalen Kläranlagen. Oft bleiben dabei die Bedürfnisse des Betreibers nach Kostenstabilität und einfachen, praktikablen Lösungen auf der Strecke. Denn letztlich kann es nicht Aufgabe eines kommunalen Kläranlagenbetreibers sein, nebenbei noch eine kleine „Chemiefabrik“ zu betreiben.

Entwicklung eines innovativen Verfahrens für kleine und mittlere Kläranlagen

Vor diesem Hintergrund habe ich von 2016 -2018 ein Forschungsvorhaben geleitet, dass in Kooperation der EKO-PLANT GmbH und der Ostfalia-Hochschule Suderburg unter Prof. Dr. Artur Mennerich von der Fakultät Bau, Wasser, Boden durchgeführt wurde***.

Erste Gespräche zur Vorbereitung des Forschungsvorhabens, Vor-Studien und Beantragungen bei Fördermittelstellen liefen bereits seit 2013, also bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als die Novelle der Klärschlammverordnung intensiv diskutiert wurde, aber noch keine fertigen Verordnungstexte vorlagen. Klar war nur, dass das Thema Phosphorrecycling zukünftig eine bedeutendere Rolle spielen wird, nicht zuletzt durch die klare Ansage im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2013, S. 84): „Wir werden die Klärschlammausbringung zu Düngezwecken beenden und Phosphor und andere Nährstoffe zurückgewinnen.“

Das Forschungsvorhaben hatte ein Volumen von rd. 500.000 € und wurde aus Mitteln des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM-KOOP) des BMWi gefördert. Ziel des Forschungsvorhabens war es, speziell für die kleinen und mittleren Kläranlagen – also eher für Kläranlagen bis 50.000 EW oder max. 100.000 EW – ein einfaches, kostengünstiges und betriebsstabiles Verfahren zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlamm zu entwickeln. Dadurch sollten insbesondere für Kläranlagen, die nicht mehr bodengebunden verwerten können, die Entsorgungsoptionen erweitert werden – über die Monoverbrennung hinaus.

Bei dem Verfahren wurde als erste Behandlungsstufe auf das bewährte Verfahren der biologischen Schlammbehandlung in Klärschlammvererdungsbeeten gesetzt. Durch die Klärschlammvererdungsanlage wird der Klärschlamm bei sehr niedrigen Betriebskosten entwässert und in seinem Volumen reduziert, gleichzeitig findet dadurch eine effektive Fest-Flüssig-Trennung statt. Die eigentliche Phosphorrückgewinnung sollte dann aus der sehr reinen, weitgehend feststofffreien Flüssigphase (Filtrat) erfolgen.

Das besondere am Vererdungsverfahren ist hierbei, dass durch den Abbau organischer Substanz in den mit Schilf bepflanzten Beeten bereits eine sehr starke Aufkonzentration des Nährstoff Phosphors stattfindet. Durch eine angepasste Betriebsweise der Kläranlage gelingt es, den Phosphor aus dem Klärschlamm in die Flüssigphase zu überführen, so dass hier Konzentrationen zwischen 100 – 200 mg/l PO4-P auftreten können, die eine Rückgewinnung lukrativ machen. Der besondere Chemismus des Filtratwassers aus den Vererdungsbeeten erlaubt es, MAP ohne den Zusatz von Laugen und Säuren auszufällen.

Ziel war es, sehr niedrige, an Weltmarktpreisen für Phosphordünger orientierte Rückgewinnungskosten von < 3 €/kg P  und eine Rückgewinnungsquote von mindestens 50 % zu erreichen. Beides waren sehr ambitionierte Ziele, die aber auf der Basis der Voruntersuchungen als realistisch angesehen wurden. Die gesamte Verfahrenstechnik sollte darauf abzielen, ohne spezielle Ausbildung der Kläranlagenmitarbeiter mit einer verhältnismäßig einfachen Verfahrenstechnik ein Phosphorrecycling auf der Kläranlage zu ermöglichen. Das rückgewonnene Phosphor sollte als direkt verwendbarer Dünger in den regionalen Wertstoffkreislauf abgegeben werden.

Die über zwei Jahre durchgeführten Versuche – zunächst im Labor- und Technikumsmaßstab, später auf 2 Kläranlagen in Niedersachsen und Brandenburg im Technikums- und Pilotmaßstab – erbrachten viele interessante Erkenntnisse, z.B. zu sinnvollen Steuer- und Regelparametern für das Verfahren, aber auch zu potentiellen Störgrößen.  Insgesamt konnten viele Ziele der Verfahrensentwicklung erreicht werden, so dass einer Weiterentwicklung des Verfahrens für eine sinnvolle großtechnische Anwendung in Kombination mit Vererdungsbeeten machbar gewesen wäre.

Dennoch machte eine Weiterentwicklung am Ende keinen Sinn. Warum ? Dies ist in den juristischen Definitionen von Abwasser und Klärschlamm und deren Interpretation im Zusammenhang mit den Phosphorrückgewinnungsanforderungen der Klärschlammverordnung begründet. Nach Wasserhaushaltsgesetz (WHG) ist das, was der Techniker unter „Klärschlamm“ versteht, immer noch Abwasser, solange der Abwasserbehandlungsprozess nicht vollständig abgeschlossen ist. Dazu zählt auch die Behandlung und Entwässerung von „Klärschlamm“ auf der Kläranlage, jedenfalls solange hier noch (Ab)Wasser (z.B. aus dem Entwässserungsprozess) anfällt, das in der Kläranlage zu reinigen ist.

 Im Verordnungssinne liegt Klärschlamm also erst dann vor, wenn die Entwässerung/Behandlung vollständig abgeschlossen ist und der zu entsorgende Reststoff  zur Abfuhr bereit vorliegt. Dies ist weder in einem Vererdungsbeet der Fall, noch im Bereich einer Klärschlammfaulung und/oder maschinellen Entwässerung. Obwohl für den Techniker hier eindeutig „Klärschlamm“ (als Endprodukt der Abwasserreinigung) vorliegt, ist es doch im Verordnungssinn immer noch ein der Abwasserreinigung zuzuzählendes Gut. Daher greift auch das 50%-Abreicherungskriterium der Verordnung nicht, da sich die 50 % Abreicherung auf (juristisch) Klärschlamm beziehen, und nicht auf den Klärschlamm des Technikers.

Verfahrensentwickler, die versuchen, Phosphor bereits auf der Kläranlage zu recyclen, stehen also vor einem Dilemma. Allenfalls kann es möglich sein, durch ein Verfahren die Restgehalte an Phosphor im Klärschlamm unter die 20 g P/kg TR-Schwelle zu drücken, um eine anderweitige Entsorgung für den phosphorabgereicherten Klärschlamm zu ermöglichen. Dies ist aber – insbesondere bei ursprünglich sehr phosphorreichen Schlämmen – nicht immer möglich, was die verfahrenstechnischen Optionen dann wieder deutlich einschränkt.

Dieses Beispiel zeigt, dass nicht alles, was technisch möglich und sinnvoll ist, auch die Vorgaben der Verordnung rechtssicher erfüllt. Ob diese Konsequenzen bei der Novelle der Klärschlammverordnung ausreichend bedacht wurden darf bezweifelt werden. Dass einige Bestimmungen der Verordnung zur Verwirrung der Betreiber beitragen haben inzwischen auch die Fachreferenten auf Länder- und Bundesebene erkannt und eine Vollzugshilfe der LAGA erstellt, die noch in 2020 veröffentlicht werden soll und sich momentan (Frühjahr 2020) in der finalen Abstimmung befindet****.

Der Fragenkatalog, der um die 40 Fragen behandelt, ist eine gute Hilfe und gibt Auskunft zu häufig gestellten Fragen. Vieles bleibt aber offen, und Verantwortliche von entsorgungspflichtigen Körperschaften sind gut beraten, sich auch in Zukunft zu informieren und verfahrenstechnische Angebote umfassend zu bewerten, bevor sie investieren.  

Stefan Rehfus, April 2020

Fußnoten:

*Es gibt durchaus große Kläranlagen im ländlichen Raum, die z.B. aufgrund angeschlossenen lebensmittelverarbeitenden Gewerbes über Klärschlamm mit sehr niedrigen Schadstoffgehalten und hohem Düngewert verfügen.   

** MAP-Magnesium-Ammonium-Phosphat

*** damals noch in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer der EKO-PLANT GmbH 

**** „Vollzugshinweise Klärschlammverordnung“ der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA); hier in einer vorläufigen (nicht endabgestimmten!) Version abrufbar

AbfKlärV, Klärschlamm, Klärschlammasche, Klärschlammvererdung, Monoverbrennung, Phosphor, Phosphorrecycling, Phosphorrückgewinnung, Rückgewinnung, Vollzugshilfe

BesserWasser. Ingenieurbüro für Besserwasser. Göttingen.

Ingenieurbüro für Besserwasser. Kassel. Göttingen.

Dipl.-Ing. Stefan Rehfus

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